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01. Januar 2012: Wenn einer keine Angst hat, dann hat er keine Phantasie

Textauszug aus dem Tagesseminar Angst

Wenn einer keine Angst hat, dann hat er keine Phantasie.

Phantasie ist die Einbildungskraft, die die Möglichkeiten unseres inneren Erlebens über die äusser Erfahrungen hinaus erweitert. Die Bilder und Ereignisse, die uns diei Phantasie vorzaubert, setzen sich immer aus realen Eindrücken zusammen, die jedoch in eigentümlicher Weise verändert werden.

Die Phantasie vergrößert oder verkleinert, sie kombiniert, sie verschönert und mildert oder verstärkt und dramatisiert gern. Diese Neigung der Phantasie verfälscht die Erinnerung an wirkliche Ereignisse. Realität und Wunschdenken verschwimmen, sie erschaffen eine neue greifbare Wirklichkeit.

Phantasie erschafft einen „Naturschutzpark“, für Lustprinzipien, wie unerlaubte, nazistische, aggressive, lustvolle und sexuelle Wünsche, an deren Stelle sonst das Realitätsprinzip gesetzt wird. Phantasie gilt häufig den Wünschen, deren Befriedigung in der Wirklichkeit am schwersten zu erreichen ist.

Die Phantasie macht uns großartig, stark und erfolgreich, nährt also unseren Narzißmus. Sie eröffnet uns auch jene sexuellen Freuden, auf die uns die Moral zu verzichten gelehrt hat.
Sie erlaubt uns, unsere Aggression und Zerstörungslust in einem Maße freizugeben, das wir bewußt als Grausamkeit und Verbrechen weit von uns weisen würden. Als Ventil für ungezügelte Sexualität und Destruktion trägt die Phantasie wesentlich zur Einordnung des Triebwesens Mensch in seine Kultur und Gesellschaft bei.

Zwar stellt sie uns oft auch die Gefahren des Lebens vor, vergrößert sie manchmal ins Riesenhafte, aber meist nur, um uns vorzuspiegeln, wie wir über alle Widrigkeiten obsiegen, bis sogar der leibliche Tod keine Schrecken mehr zu haben scheint. So enthalten Phantasien oft auch Angst und Grauen. In unseren Träumen und Wachvorstellungen wiederholen wir viele unangenehme Erfahrun gen und steigern sie wohl noch, so daß die Auffassung von der Phantasie als Wunschdenken unglaubhaft wird.

Ein Teil der Angst in unseren Phantasiebildern ist aber direkt an die Wünsche gekoppelt, von denen sie gespeist werden. Es ist eine soziale Angst, die aus der Erfahrung kommt, daß gewisse Triebbefriedigungen von den Mitmenschen mit Strafe oder Liebesentzug bedroht sind. Da wir einen Teil dieser Gebote verinnerlicht haben, sorgt nun unser Ego dafür, daß uns auch die Phantasie-Erfüllung solcher Wünsche nicht ohne den Preis der Angst erlaubt ist.

Doch das Abspielen schrecklicher oder peinlicher Erfahrungen in der Phantasie dient doch auch der Lebenserhaltung. Es stellt einen Versuch dar, diese Erfahrungen im nachhinein endlich zu verarbeiten. Die unlustvolle Phantasie macht aus dem Erlebnis, das uns von aussen überfallen hat, eine Vorstellung, die wir selbst bilden. So machen wir uns den schmerzlichen Vorgang »zu eigen«, setzen ihn von der äußeren Wirklichkeit ab und können hoffen, ihn zu beherrschen.

Die Gabe der Phantasie ist ein Teil der Anlage, die ein jeder Mensch nach besonderem Mass mit auf die Welt bringt.
Über den Forderungen der äußeren Realität wird oft verkannt, daß auch Phantasien eine Wirklichkeit, eine innere Realität sind. Sie sind ein Zugangsweg zu unseren unbewußten Kräften.

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